Drags, Theater und Kunst!

Eine Veranstaltung, bei der Dragkünstler vorlesen, löste unter Politikern Entrüstung aus. Allzu schnell zeigten sich Vorurteile und Unwissen über Drags.

Eine Veranstaltung, bei der Dragkünstler vorlesen, löste unter Politikern Entrüstung aus. Allzu schnell zeigten sich Vorurteile und Unwissen über Drags.

Anlässlich der Pride Week und des Christopher Street Days in München plant eine Stadtbibliothek, eine Lesung für Familien anzubieten. Zu den Personen, die den Kindern farbenfrohe Geschichten vortragen, gehören Dragking Eric BigClit und Dragqueen Vicky Voyage. Auf dem ersten und gründlichen Blick erscheint diese Ankündigung wie ein buntes, vielfältiges Programm für Kinder. Zumal die Künstler betonen, dass sie keine provokanten Kostüme tragen und ihr Auftreten auf ihr Publikum abstimmen.

Aus der Perspektive mancher konservativen Politiker ist Drag nichts für Kinder oder Familien. Hubert Aiwanger, Staatsminister und stellvertretender Ministerpräsident von Bayern, nutzte in dem Zusammenhang sogar den Begriff der Kindeswohlgefährdung. Als wäre Kirchen-Indoktrinationen je etwas Gutes gewesen. Er war die öffentliche Stimme all jener, die die Veranstaltung verbieten lassen wollten. Ihr Hauptargument war, das Drag Kinder „frühsexualisiere“. Bestes Beispiel sei der Name „BigClit“, was sich ins Deutsche mit großer Klitoris übersetzen lässt. Das werden die Kinder nicht tun, weil die wenigsten von ihnen schon Englisch beherrschen. In den Augen der Konservativen zählt dieser Einwand nicht.

Wer den Namen eines Geschlechtsteils trägt, könne nur etwas mit Sexualität andeuten. Dass der Dragking Eric BigClit ausgebildeter Sozialarbeiter ist, überzeugt die konservativen Stimmen nicht. Es ist ein Fakt, der nichts mit Drag als Kunstform zu tun hat. Aber ebenso hat sich die Kritik wenig mit der künstlerischen Darstellung auseinandergesetzt. Denn Drag ist Kunst, die sich auch mit kinderfreundlichen Programmen präsentiert. Sie ist bunt, pompös, unterhaltsam und zugleich politisch und tolerant.

Drag als Kultur und Kunst

Die Ursprünge des Drag liegen im Theater, in einer Zeit, in der es Frauen verboten war, als Schauspielerinnen zu agieren. Männer übernahmen verkleidet die weiblichen Rollen. Daraus entwickelten sich eigene Kunstformen wie Travestie und Drag. Die unterhaltende Travestie erweitert Drag mit inszenierten, durchdachten Kunstfiguren.

Einen Höhepunkt bildete RuPaul’s Drag Race. RuPaul erreichte mit seinen Sendungen eine breite Öffentlichkeit. Klassische Elemente des Drag sind beispielsweise Shows und Performances mit Lip Sync, Death Drops oder aufwendige Kostüme. Lip Sync Battles und Death Drops gehören mittlerweile zur Popkultur. Sie sind in anderen Kunstformen, auf Social Media oder in Unterhaltungssendungen nicht mehr wegzudenken. Ein Blick auf die Kostüme und Inhalte von Dragshows zeigt: Hier vermischen sich Theater, Mode, Kunsthandwerk, Körperkunst, Gesellschafts- und Geschlechterkritik mit Unterhaltung.

Drags sind Provokant und politisch

Die Ballroom-Kultur und Drag Balls in den USA bildeten im 20. Jahrhundert für queere Personen eine sichere Umgebung. Sie verdeutlicht, dass Drag immer auch ein Streben für Toleranz und Anerkennung von Vielfalt war. Dragqueens gehörten zu den lautstarken Teilnehmern der Stonewall Riots von 1969. Die damaligen Kämpfe zwischen Polizisten und queere Personen gelten als Wende im Streben nach Gleichbehandlung der LGBT+ Community. Berühmt wurde beispielsweise die Dragqueen Marsha P. Johnson. Sie beteiligte sich an dem Stonewall-Aufstand und setzte sich für die Rechte queerer Personen ein.

Auch heute ist Drag tolerant, vielfältig und laut für die LGBT+-Community. Die Rollen, die Dragqueens und Kings einnehmen, sind je nach Kunstfigur überspitzt und führen so Klischees vor. Zugleich hinterfragen Dragkünstler durch ihre Figur und Künstlichkeit die genormten Geschlechterrollen.

Konservatives Missverständnis oder Diskriminierung?

Die Kritik vieler Konservativer in der aktuellen Debatte bezieht sich auf Fragen der Identitätspolitik und der Frühsexualisierung von Kindern. Drag thematisiert sexuelle und erotische Aspekte. „Sex sells“ und unterhält. Das gilt vor allem für Performances, die sich an Erwachsene richten. Wenn Dragkünstler für Kinder auftreten, sind erotische Posen beispielsweise wenig sinnvoll. Denn das Ziel bleibt die Unterhaltung des Publikums.

Identitätspolitik gehört zu den schwierigen Fachwörtern, die im konservativen Rahmen vor allem auf das Geschlecht abzielen. Die Vermischung von Geschlechtsrollen und Identitäten ist im reaktionären Weltbild schwer zu integrieren. Aber das macht Drag aus. Drag und Queerness sind verknüpft, auch wenn Drag nichts mit Gender oder Sexualität zu tun hat. Daher betrachten Erwachsene eine Performance eher mit dem Hintergrund ihrer eigenen sexuellen Perspektive. Für nicht vorbelastete Kinder ist es einfach nur eine bunte Show.

Weltoffenheit und Toleranz nicht nur für Drags

Während in München Politiker darüber diskutieren, ob Drag für Kinder ist, hat San Francisco mit D’Arcy Drollinger den ersten Drag-Botschafter. In der Stadt finden regelmäßig Lesungen von Drag Künstlern in Schulen und Bibliotheken statt. San Francisco ist dafür bekannt, dass sich die Lokalregierung für Bürgerrechte und LGBT+-Rechte einsetzt. München erweckt hingegen dieses Jahr kurz vor der Pride Week den Eindruck, in der Zeit stehen geblieben zu sein.

Unter dem Vorwand des Kinderschutzes lehnen Politiker eine Ausdrucksform ab, die sie nicht zu verstehen oder zu würdigen wissen. Dabei vermittelt das Bunte und Laute Toleranz und Vielfalt und das auf eine für Kinder inspirierende und unterhaltsame Weise.

Umso mehr gilt es, im toleranten Deutschland und München sich für diese Kunst zu öffnen oder offenzubleiben. Im Vergleich zu anderen Staaten steht Deutschland bei der Gleichberechtigung von homosexuellen Menschen gut da. Denn es gibt genügend Länder, in denen nonkonformes Handeln lebensbedrohend ist, und Deutschland sollte sich diese nicht als Vorbild nehmen. Diskutieren Sie das in meine Touren.

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